
- Datum
- 05.07.2016
- Ort
- Vortragssaal Reinhold-Frank-Str.81 / Vordergebäude
Dr. Karin Harrasser "Zwischenflächen, Multimodalität, Medialität und Taktilität"
Reihe KUNST UND BERÜHRUNG
Die Tagung KUNST UND BERÜHRUNG im vergangenen Januar stellte die Frage nach der Rolle der Berührung in der Kunsterfahrung und diskutierte die Möglichkeiten eines somatischen ästhetischen Wissens. In einer Vortragsreihe im Sommersemester, die wieder von Prof. Dr. Carolin Meister (Kunstakademie Karlsruhe) und Dr. Kristin Marek (Hochschule für Gestaltung Karlsruhe) konzipiert wurde, führen nun vier Beiträgen von Kunstwissenschaftlerinnen die Auseinandersetzung mit dem Thema fort. Den Abschluss bildet (Ende Oktober) ein erneuter Vortrag des Philosophen Jean-Luc Nancy, der als der „größte Denker der Berührung“ (Jacques Derrida) gilt und den Anstoß zu der Auseinandersetzung gab.
Am Dienstag, 5. Juli, um 19 Uhr stellt im Vortragssaal der Kunstakademie Karlsruhe Dr. Karin Harrasser, Professorin an der Kunstuniversität Linz, ihren Beitrag zum Thema vor. Für die österreichische Kunstwissenschaftlerin herausfordernd ist der Tastsinn, weil er sowohl in der Philosophie (und Theologie) als auch in seiner wissenschaftlichen Erforschung zwischen zwei Polen pendelt: Zum einen wurde er routinemäßig erkenntnistheoretisch zu Gunsten der Fernsinne abgewertet. Im Tasten droht das Sinnliche die Erkenntnis zu überrumpeln, dem Subjekt nur vermischte Eindrücke zuzuspielen. Zum anderen lässt sich die Geschichte einer abendländischen „Haptometaphysik“ (Derrida) nachzeichnen, in der dem Tastsinn eine privilegierte Stellung im Zugang zur Wahrheit zukommt. Die Berührung fungiert hier als letzte Instanz der Gewissheit (was mich berührt ist wahr).
Die Wissenschaftlerin hingegen interessiert sich für Ansätze, die diese Polarisierung meiden und den medialen Charakter des Tastsinns herausarbeiten. Seit Aristoteles gab der fundamental vermittelnde und liminale Charakter des Haptischen immer wieder Rätsel auf. Er war aber auch Anstoß und Provokation von vielerlei ästhetischen, philosophischen und wissenschaftlichen Experimenten. Denn beim Tasten trennt sich in der Wahrnehmung, was sich im Konkreten verbindet. Das bedeutet nicht nur eine Komplizierung für ein Medienverständnis, das das Mediale als dem Leib Fremdes auffasst, sondern adressiert grundsätzliche Fragen der Agency, der Verteilung von aktiv und passiv, von Innen und Außen. Zugleich ist der Tastsinn mit einer Vielzahl von Affektmodulationen verknüpft. Berührung ruft besonders heftige Reaktionen auf. Was den Leib berührt, ihm (zu) nahe kommt, ist eine Quelle von Lust und Gefahr gleichermaßen. Judith Butler hat deshalb treffend formuliert, physische Gewalt sei eine Berührung der schlimmsten Art.
Wenn nun vom medialen Charakter des Tastsinns gehandelt wird, so Karin Harrasser, muss auch von der Haut die Rede sein, von ihrer Existenzweise als semipermeabler Membran, als Wärmeausgleichsorgan, das zudem mit (textilen und anderen) zweiten Häuten eingehüllt wird, die sie beschützen, verstärken, anregen. Die Haut und ihre layers und Falten transportiert uns einmal mehr in das zerklüftete Gelände der Kulturalisierung der Sinne. Anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Epochen und Genres versucht der Vortrag die Idee von Medien als Zwischenflächen zu konturieren.
Vortragsreihe KUNST UND BERÜHRUNG
zum Abschluss im Wintersemester 2016/17:
25. Oktober Jean-Luc Nancy, Straßburg
Die Reihe wird von der Baden-Württemberg-Stiftung unterstützt.