Radieren und Auslöschen ist weit mehr als die einfache Umkehrformel des kreativen, additiven Zeichnens. Wer zeichnet, radiert meist auch aus. Das Radieren als Korrektur des kreativen Prozesses ist jedoch nur eine von vielen Möglichkeiten, die Subtraktion des Materials zu nutzen. Zahlreiche Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts nutzen Formen des Auslöschens für ihre Zeichnungen. Dieser sehr spezifischen künstlerischen Geste der "Zerstörung" gelingt es in besonderer Weise, inhaltlichen Fragestellungen einen formal zwingenden Ausdruck zu verleihen.
Es war der amerikanische Künstler Robert Rauschenberg, der 1953 eine Zeichnung seines Künstlerkollegen Willem de Kooning ausradierte und damit ein konzeptuelles Werk schuf, das auf der faktischen Zerstörung eines anderen Werkes beruht. Seither haben sich Künstler immer wieder mit der Dialektik von Schöpfung und Zerstörung auseinandergesetzt. In diesem Vortrag werden die formalen, technischen und ästhetischen Aspekte des Radierens als künstlerische Strategie anhand ausgewählter Beispiele aus der jüngeren Zeichnungsgeschichte diskutiert.
Jan-Philipp Fruehsorge, in Berlin geboren, hat Theater- und Filmwissenschaften, Geschichte, Anglistik und Kunstgeschichte an der FU Berlin studiert.
Nach Tätigkeiten als Kunstkritiker und Kunsthistoriker 2003 Gründung der Galerie Fruehsorge Contemporary Drawings, die erste Galerie seinerzeit in Deutschland, die sich ausschliesslich dem Medium Zeichnung widmete. Ab 2015 Weiterführung als Nonprofit Plattform „The Drawing Hub“, die als nomadisierende Struktur international Projekte zur Förderung und Erforschung der Zeichnung betreibt. Als ausgewiesener Experte für das Medium Zeichnung ist Jan-Philipp Fruehsorge immer wieder auf allen Feldern der Kunstgeschichte und des Marktes unterwegs, sei als Berater für Privatsammler oder als regelmäßiger Gast-Tutor an der University of Westengland in Bristol, Plymouth University of Arts und am Paris Collage of Art, sowie am Royal Drawing School. London. Lange Jahre war er im Kuratorium der Graphischen Gesellschaft zu Berlin und ist regelmäßig Jurymitglied internationaler Zeichnungspreise.
Er arbeitet zudem kuratorisch für Zeichnungsmessen in Paris, Lissabon, Madrid und Marseille.
Als Kurator zahlreicher Ausstellungen hat er mit Museen und Institutionen in Deutschland,Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, China und Japan zusammengearbeitet.
Er hat umfangreich zu Themen der Zeichnung und der Kunst der Gegenwart publiziert.
Letztes Ausstellungsprojekt: Les Danaides, The Bridge by Christian Berst, Paris.
Demnächst: Videoprogramm für die Messe Pareidolie in Marseile, August 2022